Die Verführung des Autors
Es ist verführerisch, sich vor allem Autorenarbeit von ChatGPT und Google Bard abnehmen zu lassen. Die beiden Chatbots können uns dabei helfen, schnell und effizient Texte, Bilder, Präsentationen und bald auch Videos herzustellen, die ansonsten Stunden oder sogar Tage an Arbeitszeit in Anspruch nehmen würden. Sie müssen eine Management Summary oder eine Firmenpräsentation erstellen? Eigentlich sind beides Aufgaben, die sowohl Zeit als auch inhaltlich wie formal ein gewisses Fachwissen erfordern. Mit KI können Sie so ein Dokument in Minuten statt Stunden erstellen – und auf den ersten Blick wirkt der Text bereits fertig und professionell. Aber ist das wirklich so und sollten wir uns der Verführung hingeben, jetzt pro Tag zwanzig Präsentationen anstatt einer einzigen schreiben zu können? Sie ahnen vermutlich meine Antwort.
Revolution oder Risiko?
Ich nutze selbst chatGPT und Google Bard. Und zwar praktisch jeden Tag, beruflich und privat. Ich habe mich stundenlang mit der Erstellung von Textprompts beschäftigt und bin wohl das, was man einen „Early Adopter“ im Tech-Space nennen würde: ich habe wenig Berührungsängste bei neuer Technologie und für mich ist der Nutzen von chatGPT im Alltag gewaltig. Dies sei nur vorweggeschickt, damit Sie mich nicht für einen typisch Deutschen Bedenkenträger halten. Dennoch sehe ich Risiken bei der Verwendung von dieser Art KI im Marketing. Früher oder später wird passieren, was immer passiert wenn Dinge, die früher Fachleuten vorbehalten waren, plötzlich von Jedermann genutzt werden können: wir werden mit mittelmäßigen Inhalten überschwemmt werden, und zwar vermutlich in einem Ausmaß, dass einem schlecht werden könnte. Wenn jeder in der Lage ist, irgendwelche Inhalte mit minimalem Aufwand zu erstellen, dann wird zwangsläufig früher oder später die Qualität der Inhalte leiden – dies haben wir im Grafikdesign gesehen, als DTP und später die Adobe Creative Suite aufkam, das gleiche ist passiert dank massentauglicher Handykameras und Instagram-Filter, es ist in der elektronischen Musik passiert (hier schreibt ein ambitionierter Hobbymusiker) und es wird wieder passieren: nur diesmal sind wohl dank chatGPT vor allem Texte betroffen. Demokratisierung und Befreiung führt quasi zwangsläufig zu einem Regress in Richtung Mittelmäßigkeit bei gleichzeitigem Anstieg der schieren Masse, denn jeder will SEO und viel ist ja bekanntlich immer besser…
Das muss dann eigentlich fast zwingend dazu führen, dass die Menschen weniger Interesse entwickeln werden, längere Texte zu lesen. Wir werden noch mehr als jetzt schon das Gefühl haben, dass wir von generischen und uninspirierten Blogbeiträgen, Presseartikeln und sonstigen Buchstaben- und Wortansammlungen geradezu überschwemmt werden.
Wie KI die Spielregeln verändert
Wenn uns also eine Flut von Mittelmäßigkeit bevorsteht und selbst kompetent wirkende Texte von den Rezipienten links liegen gelassen werden, müssen wir dann im Marketing neue Kanäle etablieren und Strategien finden, um uns wieder von der Masse abzuheben? Könnte die breite Verfügbarkeit von automatisierten Texterstellungs-Gehilfen sogar das Ende des Content-Marketings bedeuten? Werden vielleicht Influencer noch wichtiger, weil sie immerhin persönlich vor der Kamera stehen und menschliche Authentizität ausstrahlen? Ich könnte mir zumindest sehr gut vorstellen, dass wir uns in eine Richtung bewegen, in der die menschliche Komponente im Marketing noch wichtiger wird. Events, menschliche Touchpoints ohne Instagram Filter, echter Augenkontakt von Angesicht zu Angesicht, so dass man relativ sicher sein kann, keinem Deep Fake zu erliegen. Gerade für hochpreisige Produkte wird dies vermutlich der richtige Weg werden, denn Business ist Vertrauenssache. Entsprechend wäre es auch eine logische Schlussfolgerung, dass im Sales Funnel der Übergabepunkt von Marketing nach Sales früher stattfindet als bisher. Echte Menschen mit Verkaufstalent werden also wieder mehr zu tun bekommen.
KI im Marketing: Mehr als nur ein Trend?
Aber wie können wir denn dann sinnvoll mit KI umgehen? Der Nutzen und Effizienzgewinn ist doch wohl unbestreitbar und – wie bereits erwähnt – ich bin selbst täglicher Nutzer von chatGPT und Bard. Also was lohnt sich, was nicht? Mein persönlicher Ansatz besteht darin, wirklich gute Prompts zu verfassen und die KI klug in den Gesamtprozess einzubinden. Es ist eine Wissenschaft für sich, einen Chatprompt so zu schreiben, dass hinten etwas Brauchbares bei raus kommt und wir dürfen bei allem auch nicht dem Irrglauben verfallen, dass KI uns die gesamte Arbeit abnehmen kann. LLM (Large Language Model) wie ChatGPT funktionieren grob gesagt auf der Basis von Wahrscheinlichkeiten. Sie „verstehen“ nichts wirklich in unserem menschlichen Sinne, sie berechnen lediglich aus einer unvorstellbar riesigen Datenbank eine Wahrscheinlichkeit für das nächste zu schreibende Wort. Mehr nicht! Sie können dadurch zwar hervorragend aus einem Ding mehr machen und wir können zum Beispiel einen Text selbst schreiben und den Bot dann anweisen, in diesem Stil weitere Inhalte zu erzeugen. Aber wir sollten nicht erwarten, dass der Bot Entscheidungen treffen oder gar eine subjektive Beurteilung abgeben kann. Nachfolgend meine persönlichen Pro- und Kontra Empfehlungen für den Einsatz von chatGPT bzw. jedem „LLM“, das da noch kommen mag:
Die 5 größten Stärken von künstlicher Intelligenz – oder: wo liegt der echte Nutzen
- Effizienz: KI kann Aufgaben schneller und effizienter erledigen als Menschen.
- Skalierbarkeit: KI kann problemlos auf eine große Anzahl von Aufgaben skaliert werden.
- Verfügbarkeit: KI ist rund um die Uhr verfügbar und benötigt keine Pausen.
- Datenanalyse: KI ist hervorragend in der Analyse großer Datenmengen.
- Lernfähigkeit: KI kann aus Erfahrungen lernen und sich im Laufe der Zeit verbessern.
Die 5 größten Schwächen – oder: was man über den Stand der Technik wissen sollte
- Mangel an Kreativität: KI kann Muster erkennen und replizieren, aber sie kann keine neuen, originellen Ideen generieren.
- Fehlende emotionale Intelligenz: KI kann menschliche Emotionen nicht vollständig verstehen oder nachahmen.
- Abhängigkeit von Daten: KI ist nur so gut wie die Daten, mit denen sie gefüttert wird.
- Mangel an Kontextverständnis: KI kann Schwierigkeiten haben, den Kontext von Informationen zu verstehen.
- Ethik und Datenschutz: Es gibt Bedenken hinsichtlich der ethischen Verwendung von KI und dem Schutz von Daten, insbesondere im Zusammenhang mit personenbezogenen Daten. Auch wenn es um das geistige Eigentum von Künstlern geht, gibt es haufenweise Kontroversen.
Lesen bald nur noch Bots unsere bot-generierten Texte?
Einer meiner Lieblingswitze ist es schon seit Jahren, dass ich gerne einen Lese-Bot für Facebook hätte. Angesichts der schon seit Jahren zunehmenden Informationsflut und der oftmals mäßigen Qualität von Beiträgen wäre es doch wunderbar absurd, wenn wir im nächsten Schritt diese Inhalte nicht mehr selbst lesen müssten. Könnte dies nicht auch ein Bot übernehmen? Dann wären wir als Mensch endlich dieses lästige „Social Media“ Problem los und könnten uns wieder interessanten Themen zuwenden.
Aber mal Spaß beiseite: Am Ende des Tages gilt wie immer, dass Qualität siegt. Jeder automatisch erzeugte Text muss Korrektur gelesen, verbessert, ergänzt oder auch gekürzt werden. Er muss fachlich überprüft werden, seine Lesbarkeit inhaltlich und format optimiert. Erst dann haben wir Blogartikel, Social Media Posts, Handouts und Präsentationen, die man guten Gewissens fremden Menschen anbieten darf. Ansonsten riskieren wir wirklich, dass irgendwann nur noch Bots unsere Bot-generierten Texte lesen. Einen „jump scare“ habe ich noch für Sie: wie hat Ihnen dieser Blog Artikel bis hierher gefallen? Glauben Sie wirklich, dass ihn ein Mensch geschrieben hat? Ich verrate Ihnen das Geheimnis: dieser Text, den Sie gerade lesen, ist zu schätzungsweise 50% durch chatGPT generiert. Aber eben auch nur 50% mittels mehrerer Iterationsschleifen und mit deutlichen Eingriffen an entscheidenden Stellen! Sie entscheiden, ob die Qualität hätte verbessert werden können, wenn man ihn ganz ohne Hilfe geschrieben hätte.
Fazit
Künstliche Intelligenz hat zweifellos das Potenzial, das Marketing zu revolutionieren. Sie bietet uns die Möglichkeit, effizienter zu arbeiten und neue Wege zu beschreiten. Aber wir dürfen nicht vergessen, dass KI nur ein Werkzeug ist. Sie kann uns bei der Erstellung von Inhalten unterstützen, aber sie kann uns nicht die gesamte Arbeit abnehmen.
Die Gefahr besteht darin, dass wir uns von der Fähigkeit der KI, schnell und effizient Inhalte zu generieren, verführen lassen und dabei die Qualität aus den Augen verlieren. Wir dürfen nicht zulassen, dass das Internet mit mittelmäßigen Inhalten überschwemmt wird, denn das würde nur dazu führen, dass die Menschen das Interesse am Lesen verlieren.
Wir müssen uns daher auf das konzentrieren, was wirklich zählt: Qualität. Anstatt vor lauter „Convenience“ zu versuchen, immer mehr Inhalte zu produzieren, sollten wir den Fokus darauf setzen, bessere Inhalte zu erstellen. Anstatt unsere Energie darauf zu verwenden, die Menge unseres Outputs zu erhöhen, sollten wir sie darauf verwenden, die Qualität unserer Texte zu verbessern. Konkreter, anschaulicher, ohne Flüchtigkeitsfehler und zugewandt geschrieben, so dass man sie gerne lesen mag!
Die KI kann uns dabei helfen, aber sie kann uns nicht die gesamte Arbeit abnehmen. Die Verantwortung für die Qualität unserer Inhalte liegt bei uns.
Solange Texte von Menschen gelesen werden sollen, muss auch die Beurteilungskompetenz immer beim Menschen liegen und je unaufwendiger Inhalte erstellt werden können, desto mehr wird sie zum wichtigsten Kriterium.
Sie wollen im Jahr 2030 einen Job im Marketing? Dann lesen Sie Fachartikel über die Funktionsweise von KI-Technologie, schärfen Sie Ihre intellektuellen Fähigkeiten und lernen Sie vor allem, Qualität von Blödsinn zu unterscheiden!