Marketing – alles nur Lug und Trug?

Marketing ist ein Begriff, der oft missverstanden wird. Es wird als ein notwendiges Übel angesehen, als eine lästige Pflicht, die Unternehmen erfüllen müssen, um ihre Produkte oder Dienstleistungen zu verkaufen. Das Unternehmen gibt Geld aus für irgendwelche Werbung, die im besten Fall den Umsatz ankurbelt. Aber ist das wirklich alles, was Marketing ist? Ist es nur ein Mittel zum Zweck, eine Methode, um Kunden dazu zu bringen, das eigene Produkt anstelle das des Konkurrenten zu kaufen? Oder schlimmer noch: Kunden etwas zu verkaufen, das sie eigentlich gar nicht brauchen oder wollen? Ich würde sagen: Nein. Tatsächlich ist Marketing viel mehr als das. Es ist integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette, der das Produkt und letztlich das Gesamterlebnis des Kunden aufwertet. Es beginnt mit einem zur Marke, zum Produkt und zur Unternehmenskultur passenden Konzept und funktioniert erst dann wirklich gut, wenn alle operativen Maßnahmen auf dieses Konzept abgestimmt sind.

Marketing als Wertschöpfung

Viele verstehen unter Marketing kommunikative Insellösungen. Hier mal ein Newsletter, da mal ein Rollup. „Ach ja, wir haben ein neues Produkt in der Pipeline – lassen wir doch mal eine Anzeige entwickeln“. Hauptsache es ist günstig, das Produkt ist drauf zu sehen und alle Funktionen und Features sind sauber beschrieben. Passt doch.

Dabei könnte man Marketing zuerst einmal als einen Mindset begreifen. Als eine Haltung, die darin besteht, die Bedürfnisse und Erwartungen von Kunden zu befriedigen und dabei die Positionierung der eigenen Marke unverwechselbar herauszuarbeiten. Es geht nicht nur darum, das Kaufverhalten von irgendwelchen mehr oder weniger anonymen Zielgruppen zu beeinflussen, sondern darum, erstmal die richtigen Menschen als Kunden zu finden und diese dann auch ernst zu nehmen. Und dann darum, die emotionale Beziehung zwischen dem Produkt und diesen Menschen herzustellen. Produkt A passt vielleicht nicht zu Kunde 1, wohingegen Produkt B sehr gut zu ihm passen würde. Im Marketing interessieren wir uns für die Emotionalität, für die Beweggründe, für das „wie tickt der Mensch“ – um ihm dann eine passende Lösung anbieten zu können. Und wenn wir aus einer Zielgruppe von potenziell 1.000 Personen insgesamt nur 100 heraus segmentieren um einen Newsletter zu versenden, dann ist das auch eine aktive Entscheidung dafür, 900 andere nicht mit für sie irrelevantem „Noise“ zu bombardieren.

Indem es den Kunden hilft, die Produkte oder Dienstleistungen zu finden, die ihren Bedürfnissen und Wünschen entsprechen, schafft Marketing also bereits einen Mehrwert. Es bietet die Informationen, die Kunden benötigen, um fundierte Kaufentscheidungen zu treffen und es hilft ihnen, die Vor- und Nachteile verschiedener Produkte zu verstehen – also letztlich das Produkt zu wählen, das ihren Bedürfnissen am besten entspricht. Aber es bietet – und darüber wird, wie ich finde, zu wenig gesprochen – auch emotionalen Mehrwert. Denn eine Marke kann Vertrauen schaffen, sie kann eine Beziehung aufbauen und sich wie ein Freund anfühlen.

Marketing beginnt wie ein Flirt. Zu Anfang sagen wir soetwas wie „Schau’ mal, wir zwei passen zusammen“ aber es endet im besten Fall mit der klaren Gewissheit auf Kundenseite: „Meine Lieblingsmarke. Die lassen mich niemals hängen.“ Diese Liebesgeschichte wird von großen Marken ganz bewußt gelebt – jedoch funktioniert sie nur, wenn das Produkt, die Positionierung der Marke, das Marketing und die gesamte Unternehmenskultur inkl. dem Kundenservice zusammenspielen.

Wußten Sie, dass der legendäre „Elch Test“, der vor Jahren mal ein automobiles Modell von Mercedes-Benz in Verruf gebracht hat, laut psychologischer Studien bei Kunden wie eine „Beziehungsstörung in einer langen Freundschaft“ wahrgenommen wurde?

Praktische Beispiele: Apple, Nike und BMW

Apple ist wahrscheinlich die meistzitierte Marke überhaupt, wenn es darum geht, wie Marketing gemacht werden soll. Dennoch verstehen glaube ich wenige, warum das Apple Marketing so gut funktionieren kann: Das Unternehmen hat es geschafft, eine unfassbar starke Markenidentität aufzubauen, die konsequent auf Einfachheit, Innovation und Design ausgerichtet ist. Sie haben ihre Produkte so positioniert, dass sie als Premium und hochwertig wahrgenommen werden – aber die Produktqualität und das legendäre Design lösen dieses Versprechen auch ein. Es ist eben keine bloße Behauptung. Apple nutzt außerdem eine klare und einfache Sprache in ihrer Kommunikation und stellt damit sicher, dass ihre Botschaften leicht verständlich sind. Sie bieten auch einen zwar teuren, aber dafür hervorragenden Reparaturservice und einige meiner Lieblingszitate von Servicemitarbeitern stammen aus Chats mit dem Apple Support. All dies trägt dazu bei, ein positives Kundenerlebnis zu schaffen und Mehrwert zu bieten, der weit über das hinaus geht, was das „nackte“ Produkt bieten würde. Die Wiederkaufsraten sprechen für sich: Kaum ein Apple Kunde wechselt zu anderen Marken.

Nike – ein weiteres Beispiel für gelungenes Marketing – hat seine starke Markenidentität durch emotionales Storytelling und in letzter Zeit auch die konsequente Nutzung von Social Media Marketing aufgebaut. Sie haben nicht nur das beste Logo und den besten Claim aller Zeiten, sowie ihre Produkte sehr sorgfältig positioniert, sondern sie erzählen emotional hochgradig aufwühlende Geschichten im Marketing, anstatt dass sie nur Sportprodukte verkaufen. Über Social Media bringen sie diese Geschichten zu ihren Kunden und erzeugen damit unmittelbar Diskussionen, Interaktionen und letztlich eine starke Markenbindung. „Das ist doch alles eine reine Verkaufsveranstaltung“, sagen Sie? „Wo liegt die Wertschöpfung?“ – Ich sage Ihnen dazu: der Mehrwert liegt im Entertainment. Im Engagement. In der Tatsache, dass ich als Kunde involviert und emotional betroffen bin. Jede Freudenträne, die ein Kunde weint, weil im Werbespot seiner Lieblingsmarke emotional aufwühlende Dinge passieren, ist doch bedeutsam. Und Emotionen stellen immer ein Wert dar. Menschen gehen ja schließlich auch ins Kino. Schauen Sie sich mal die „Dream Crazier“ Kampagne an.

BMW hingegen hat nochmals eine andere Marketingstrategie. Sie konzentrieren sich auf die Leistung und Qualität ihrer Fahrzeuge und positionieren sich als Premium-Automobilhersteller. Sie nutzen fortschrittliche Technologie und Design, um ihre Fahrzeuge attraktiv zu machen. Jedoch achten Sie peinlich genau auf die Positionierung in unterschiedlichen Ländern. Der Claim der Marke lautete in Deutschland lange Zeit „Freude am Fahren“ (es gibt dazu sogar eine Historie auf der BMW Website) während die Marke in den USA ein völlig anderes Marketing betreibt. Während man in Deutschland auf Fotos von adrett angezogenen Familienvätern setzte, die freudig im BMW Cabrio über die Landstraße brausen, war die Bildsprache im amerikanischen Markt: Froschperspektive auf die Fahrzeugfront, aggressives Aufblitzen der Beleuchtung, große Teile des Fahrzeuges im Dunkeln. Alles strahlte Kraft, Arroganz, Dominanz und Testosteron aus (vielleicht war ein Hauch Design-Understatement dabei). Darüber stand das Statement „The ultimate driving machine“. Ein Paradebeispiel dafür, wie unterschiedlich gutes Marketing auf die jeweiligen Zielmärkte eingeht und wie anders ein- und dasselbe Unternehmen in unterschiedlichen Märkten gutes Marketing betreibt.

Conclusio: Marketing als strategisches Asset

Marketing ist weit mehr als nur Geld ausgeben, um Kunden zu gewinnen. Es ist eine strategische Investition, die echten Mehrwert für den Kunden schafft. Dieser Mehrwert kann sowohl rational als auch emotional sein: Rational, indem es den Kunden hilft, fundierte Entscheidungen zu treffen, aber eben auch emotional, indem es eine Verbindung zwischen dem Kunden und der Marke herstellt und dadurch realen Wert erzeugt.

Ja, Marketing ist manipulativ, aber das ist nicht unbedingt etwas Schlechtes. Manipulation ist allgegenwärtig und durchdringt alle Lebensbereiche. In der Politik manipulieren Politiker die öffentliche Meinung, um Wählerstimmen zu gewinnen. In der Wissenschaft werden bestimmte Ergebnisse ausgewählt und zusammengestellt, um den Blick des Betrachters zu lenken. Im Sportstadion beeinflussen jubelnde Fans das Fußballspiel. Und in zwischenmenschlichen Beziehungen wirken wir alle in gewisser Weise durch unser Verhalten auf andere manipulativ ein und hoffen auf für uns wünschenswerte Reaktionen.

Das bedeutet nicht, dass diese Manipulationen unethisch oder falsch sind. Sie sind einfach Werkzeuge, die wir verwenden, um unsere Ziele zu erreichen. Und genau so ist es auch im Marketing. Wir Marketing-Profis entwickeln gezielt Kommunikationsbotschaften, um die Wahrnehmung der Kunden zu beeinflussen und sie dazu zu bringen, eine bestimmte Aktion zu unternehmen. Aber das Ziel ist nicht, die Kunden zu täuschen oder zu betrügen. Das Ziel ist es, einen Mehrwert zu schaffen, der über das „nackte“ Produkt oder die Dienstleistung hinausgeht.

Marketing – genau wie übrigens auch das Produkt- und das Grafikdesign – sind ein strategisches Asset für jedes Unternehmen. Es ist ein Mittel, um die Unternehmensvision erlebbar zu machen, die Kundenbindung zu stärken und Menschen und Produkt in passender Weise zusammenzubringen. Es ist ein Prozess, der darauf abzielt, Bedürfnisse und Erwartungen der Kunden zu erfüllen und dabei Mehrwert zu schaffen. Dieser Mehrwert kann auch ein Gefühl von Zufriedenheit, Sorgenfreiheit oder ein Unterhaltungswert sein. Und das ist in gewisser Weise sogar das Gegenteil von Lug und Trug.