Ist wirklich alles so harmlos?
Da ich in meinem letzten Blogartikel ein eindeutiges Fazit gezogen habe, nämlich dass Marketing eben nicht „Lug und Trug“ sei, möchte ich Ihnen heute mal den Blick auf die etwas dunklere Seite des Themas geben – nicht zuletzt, um meine Kollegen und auch mich selbst daran zu erinnern, welche Verantwortung wir tragen.
Marken üben eine bemerkenswerte Macht über uns aus. Sie haben nicht nur die Fähigkeit, unser Verhalten zu beeinflussen, sondern auch unsere physischen Reaktionen. Nehmen wir zum Beispiel ein bekanntes Schmerzmittel und sein generisches Gegenstück. Namen lassen wir hier mal weg – Sie können es sich vorstellen: einmal ein Markenprodukt, einmal ein „White Label“ Medikament für einen Bruchteil des Preises. Beide enthalten die gleichen Wirkstoffe in gleicher Dosierung und sollten daher auch die gleiche Wirkung haben. Doch das ist nicht der Fall. Das Markenprodukt wirkt – und zwar messbar! – besser in einer Studie. Und man hat herausgefunden, dass sogar die Farben einer Pille und ihre Verpackung die wahrgenommene Wirksamkeit beeinflussen können. Dieses Phänomen beschränkt sich natürlich nicht nur auf Medikamente. Ein Wein aus einer schweren Flasche schmeckt besser, ein besonders schön angerichtetes Essen ist schmackhafter und das bloße Vorhandensein eines VISA- oder Mastercardlogos kann dazu führen, dass Kunden bis zu 30% mehr ausgeben. Branding- und Designkonzepte rechnen sich oft schneller, als man glaubt.
Nach meinem letzten Artikel über „Marketing – alles nur Täuschung?“ haben mich einige wenige kritische Stimmen erreicht. Einige Leser waren der Meinung, dass ich die Macht von Marketing und Design herunterspiele und die manipulativen Taktiken, insbesondere von großen internationalen Unternehmen, übersehe. Und sie haben recht. Ja, sie lesen richtig. Allerdings nicht damit, dass ich hier etwas herunterspielen wollte, sondern damit, dass es etliche globale Player gibt, die die Macht ihres Marketings missbrauchen.
Denn sie sind sich der Placebo-Wirkung ihrer Marken bewusst und nutzen sie geschickt aus. Sie setzen auf cleveres Branding und ansprechendes Design, um uns dazu zu bringen, das zu sehen, was sie uns zeigen wollen. Marken verkaufen eben nicht mehr nur Produkte, sondern sie verkaufen eine Identität, eine Zugehörigkeit. Sie locken uns mit ihrem Branding und Design. Aber wie genau machen sie das? Und ist das automatisch immer eine manipulative Täuschung?
Ich entwickle seit über 20 Jahren Branding-Konzepte und es ist mein Tagesgeschäft, darüber nachzudenken, wie wir so eine Markenidentität sicht- und erlebbar machen können. Ja, ich gehöre in dieser ganzen Sache zu den bösen Manipulatoren und ich werde dafür bezahlt, mir Gedanken darüber zu machen, wie Sie mehr Lust auf ein Produkt verspüren könnten und wenn Sie mich jetzt zum Teufel jagen wollen, sage ich Ihnen: das Thema ist komplex und nuanciert und lassen Sie mich differenzieren! Denn wie so oft, sollte man hier nichts pauschal verurteilen und die Antwort auf die Frage nach Moral und Legitimität ist mal wieder: „es kommt darauf an“.
Um das Thema einzugrenzen, habe ich für Sie einige Beispiele aus der realen Welt gesammelt und ordne sie in ein (subjektives) „Manipulations-Ranking“ ein. Die Skala reicht von „kreative Freiheit, aber noch irgendwie in der Realität verankert“ bis hin zu „eindeutige manipulative Täuschung“. Kommen Sie also heute mit auf eine Reise in die Abgründe der menschlichen Käuferpsyche…
Von Zeichencode bis Markenmythos
Die visuellen Signale, die wir in Produkten und Marken sehen, spielen eine entscheidende Rolle in unserer Wahrnehmung und Entscheidungsfindung. Wir hatten es in einem der letzten Blogartikel bereits vom „Nike Swoosh“. Es ist einfach, erkennbar und vermittelt eine Botschaft von Bewegung und Dynamik, die perfekt zur Marke passt. Aber auch hier kann es schon zu Missbrauch kommen: Einige Unternehmen nutzen visuelle Zeichen, um eine falsche Vorstellung von ihrem Produkt oder ihrer Dienstleistung zu erzeugen. Bilder oder Pictogramme von glücklichen Tieren auf Verpackungen von Fleisch- oder Molkereiprodukten suggerieren, dass die Tiere ein glückliches und gesundes Leben geführt haben, was oft nicht der Fall ist.
Streifen in der Zahnpasta erfüllen keinen funktionalen Zweck, aber sie vermitteln den Eindruck, dass die Zahnpasta mehrere Funktionen hat, wie die Bekämpfung von Karies und die Förderung eines frischen Atems. Die Streifen herzustellen ist ein zusätzlicher Aufwand im Produktionsprozess und ihr einziger Zweck ist es, die versprochenen Eigenschaften der Zahnpasta für uns glaubwürdiger und attraktiver erscheinen zu lassen. Entscheiden Sie selbst, ob es sich um Irreführung handelt oder ob der Mehraufwand im Produktionsprozess gerechtfertigt ist. Die Gewinnmarge dieser Produkte spricht jedenfalls dafür.
Ein weiteres Beispiel gefällig? Einige Unternehmen fügen Elemente hinzu, die die Vorteile ihres Produkts übertrieben darstellen. Kennen Sie die falschen Lüftungsschlitze, die einige Autohersteller in ihre Designs einbauen? Sie lassen das Auto leistungsstärker aussehen, als es tatsächlich ist. Ist das unehrlich und amoralisch oder letztendlich nur ein legitimer, optischer Trick, der das Auto attraktiver macht und dafür sogar einen Mehrpreis rechtfertigt?
Eindeutig problematisch wird es, wenn Unternehmen Design verwenden, um völlig falsche Merkmale hervorzuheben. Ein Beispiel dafür sind Lautsprecher, die zwei Treiber haben, von denen aber nur einer echt ist – der zweite ist nämlich nur eine aufgeklebte, funktionslose Membran mit Schutzgitter. Ja sowas gibt es tatsächlich, zum Glück aber eher selten. Der Lautsprecher wirkt damit mächtiger als er tatsächlich ist. Selbst wenn der Hersteller nicht explizit damit wirbt, dass sein Produkt zwei Treiber besitzt (denn da wären wir in der Illegalität): ich würde einer solchen Marke keine lange Halbwertszeit auf internationalen Märkten zusprechen. Nicht mal Proleten werden ein solches Produkt gerne kaufen.
Die nächste Stufe unseres Manipulations-Rankings ist das, was wir im Marketing als „Storytelling“ bezeichnen. Storytelling ist eine mächtige Technik, die Marken verwenden, um eine emotionale Verbindung zu ihren Kunden herzustellen. Sie erzählen Geschichten, die die Werte und die Mission der Marke vermitteln und die Kunden dazu bringen, sich mit der Marke zu identifizieren. Gucci ist bekannt für seine luxuriösen Produkte und hat eine reiche Geschichte, die sie in ihrem Branding und Marketing nutzen. Sie erzählen Geschichten von Handwerkskunst, Qualität und Exklusivität. Lego hat eine starke Marke aufgebaut, indem sie anschauliche Stories von Kreativität, Fantasie und ganz viel Spaß erzählen. Sie alle nutzen die Unternehmenshistorie, das jahrelang aufgebaute Image und ihre Produkte, um diese Geschichten zu erzählen.
Aber auch hier gibt es eine dunkle Seite. Einige Marken erfinden nämlich Geschichten oder übertreiben sie derart, dass es weder glaubhaft noch in der Realität verankert ist. Sie erzählen Geschichten von „handgefertigten“ Produkten, die in Wirklichkeit maschinell hergestellt werden, oder sprechen von „nachhaltiger“ Produktion, obwohl in Wirklichkeit nur minimale Umweltvorteile geboten werden.
Die letzte und gefährlichste Stufe des Manipulations-Rankings ist die, die wir als „Markenmythos“ bezeichnen. Dies geschieht, wenn Marken Geschichten und Symbole verwenden, um eine fast schon religiöse Verehrung zu erzeugen. Sie schaffen einen Mythos um ihre Marke, der oft wenig mit der Realität zu tun hat.
Kennen Sie die Geschichte von Theranos? Das war ein US-amerikanisches Gesundheitstechnologieunternehmen, das von Elizabeth Holmes gegründet wurde. Das Unternehmen behauptete, eine revolutionäre Technologie entwickelt zu haben, die mit nur wenigen Tropfen Blut aus der Fingerspitze Hunderte von Tests durchführen kann. Diese Behauptung wurde durch ein starkes Branding und exzessives Storytelling unterstützt, das Holmes als visionäre Unternehmerin darstellte, die die Welt verändern wollte. Die Realität war jedoch ganz anders. Es stellte sich heraus, dass die Technologie von Theranos nicht funktionierte und dass das Unternehmen gefälschte Testergebnisse produzierte. Dies führte zu einem großen Skandal, der das Unternehmen zum Scheitern brachte und Holmes und andere Führungskräfte des Unternehmens strafrechtlich verfolgt wurden.
Worauf will ich hinaus? Es gibt Marken, die tolles Marketing betreiben aber dabei trotzdem authentisch sind. Und es gibt solche, die „auf Teufel komm’ raus“ Geschichten erzählen wollen. Und es gibt eben auch solche, bei denen jemand in der Führungsetage dermaßen durchgedreht ist, dass es kriminell wird. In jedem Fall aber ist es wichtig, dass wir als Marketingexperten und Brand-Designer kritisch bleiben und stets über die Substanz dessen informiert sind, was wir bearbeiten sollen. Wir müssen in der Lage sein, die Wahrheit von der Fiktion zu unterscheiden und die richtigen Fragen zu stellen. Nur so können wir sicherstellen, dass unsere Arbeit ethisch einwandfrei ist und moralisch tragbar.
Autorität und Social Proof
Social Proof (engl. etwa: sozialer Nachweis) ist ein psychologisches Phänomen, bei dem Menschen die Handlungen anderer unter der Annahme übernehmen, dass diese Handlungen ein der Situation angemessenes Verhalten widerspiegeln. Bei dieser Anpassung werden die Handlungen anderer zwar rational in eine Entscheidung mit einbezogen, allerdings kann die Konzentration auf diese Gruppe von Menschen und deren Handlungen für den Einzelnen auch nachteilhaft sein. (Quelle: https://onlinemarketing.de/lexikon/definition-social-proof)
Visuelle Signale sind nicht die einzigen Werkzeuge, die Marken verwenden, um uns zu beeinflussen. Ein weiterer mächtiger Faktor ist der sogenannte „Social Proof“. Wenn wir sehen, dass andere Menschen ein Produkt mögen oder kaufen, sind wir eher geneigt, es auch zu tun. Dies ist besonders wirksam, wenn wir uns unsicher sind oder nicht genügend Informationen haben, um eine fundierte Entscheidung zu treffen. Im Marketing heißt das dann „Testimonial“ oder „Kundenbewertung“. In der realen Welt reicht es schon aus, dass eine Discothek die Türen absichtlich erst dann öffnet, wenn sich bereits eine lange Schlange vor dem Eingang gebildet hat. Das Grundprinzip ist immer das gleiche: Wenn wir sehen, dass andere Menschen etwas tun, neigen wir dazu, es auch zu tun. Es scheint erreichbarer und attraktiver zu sein.
Kennen Sie Roger Bannister? Der ist als erster Mensch der Welt die „englische Meile“ in unter vier Minuten gelaufen. Kurz nachdem er dieses Ziel erreicht hatte, folgten ihm andere Läufer innerhalb von sehr wenigen Wochen! Wieso war das nicht vorher möglich? Jahrzehnte lang war diese Leistung niemandem gelungen und auf einmal ist es, als ob ein Mensch eine unsichtbare Wand einreißt, so dass andere ihm folgen können. Ein Beweis, wie „Social Proof“ unsere Wahrnehmung, unser Verhalten und sogar sportliche Leistungen beeinflussen kann.
Oder nehmen Sie die Werbung von Selena Gomez für ihre Make-up Linie. Trotz ihres Status und ihrer finanziellen Mittel wird sie auf Instagram in einem ganz alltäglichen Umfeld gezeigt, was sie sympathischer und für normale Menschen erreichbarer erscheinen lässt. Dies ist ein cleverer Einsatz von „Social Proof“ in der Werbung, da wir eher dazu neigen, Menschen zu folgen, die uns ähnlich sind. „Wir“, das sind in diesem Fall über 400 Millionen.
„Social Proof“ kann aber auch noch viel manipulativer sein, bis hin zu eindeutig fragwürdigen Methoden: Unternehmen können gefälschte Bewertungen und Zeugnisse erstellen, um den Eindruck zu erwecken, dass ihr Produkt beliebt ist. Und wenn wir uns auf den Social Proof verlassen, ohne unsere eigene Recherche zu betreiben, können wir leicht getäuscht werden. Google Rankings sind gefragte Assets im Marketing. Onlineshops bezahlen viel Geld für sowohl das Löschen von ungeliebten Google-Bewertungen, als auch für den Kauf von Bewertungen, um ihre Produkte künstlich in den digitalen Rankings nach oben zu treiben.
Auch die uns eigene Autoritätsglaubigkeit wird genutzt, um Markenbotschaften zu verstärken. In den 80er Jahren gab es ein Hustenmedikament, in der ein Schauspieler, der in einer Fernsehserie einen Arzt spielt, das Produkt empfiehlt. Obwohl er kein echter Arzt ist und das auch jeder wissen sollte, verleiht seine Rolle in der Serie ihm eine Autorität, die die Zuschauer beeinflusst hat.
Noch problematischer ist es, wenn in den 1930er Jahren – als medizinische Experten einen Zusammenhang zwischen Rauchen und Lungenkrebs thematisierten – die Zigarettenmarke Camel eine Werbung herausbrachte, die rauchende Ärzte zeigt. Dazu die Aussage „Vier von fünf Ärzten sagen, Rauchen ist gesund“. Was hier psychologisch passiert ist klar: Es wird die Autorität der Ärzte genutzt, um die gesundheitlichen Bedenken zu zerstreuen. Das Thema Zigarettenwerbung ist ohnehin eines, über das man einen eigenen Blogartikel schreiben könnte. Aber halten wir fest: selbst wenn heute wohl die meisten über einen solchen Werbespot lachen würden, damals war das hochgradig manipulativ und es gibt Gründe, wieso Zigarettenwerbung international politisch streng reguliert wird.
Knappheit und die Illusion von Größe
In der Tierwelt ist Größe oft ein Zeichen von Dominanz und Stärke. Tiere plustern sich auf, um größer und bedrohlicher zu wirken und vermeiden auf diese Weise echte Konflikte oder gar Kämpfe. Menschen sind da nicht viel anders. Wir sind – ob wir es wollen, oder nicht – darauf programmiert, Größe und Autorität zu respektieren und zu bewundern. Dies kann in vielen Bereichen unseres Lebens beobachtet werden: von der Art und Weise, wie wir uns kleiden, bis hin zu den Produkten, die wir kaufen.
Marken nutzen diese „Programmierung“ unserer Gehirne, um sich attraktiv zu machen. Sie stellen ihre Produkte in einem größeren, beeindruckenderen Rahmen dar, um den Eindruck von Größe und Wert zu erzeugen. Ein Beispiel dafür ist praktisch jede Luxusmarke, die ihre Produkte in minimalistischen, aber hochwertigen Verpackungen präsentiert. Diese Präsentation vermittelt den Eindruck von Qualität und Exklusivität, was den Wunsch der Verbraucher, das Produkt zu besitzen, verstärkt. Denken Sie an iPhone-Verpackungen oder aufgeräumte, edle Boutiquen mit einer einzigen Leder-Handtasche im ansonsten fast leeren, aber perfekt geputzten Schaufenster in teuerster Innenstadtlage.
Aber wie bei den Tieren, die sich aufplustern, ist diese Darstellung manchmal auch nur eine Illusion. Wie Robert Cialdini in seinem Buch „Influence“ erklärt, können diese oberflächlichen Elemente einen Anschein von Substanz und Ernsthaftigkeit vermitteln, der in Wirklichkeit vielleicht gar nicht existiert. Es ist wichtig, hinter diese Fassade zu schauen und zu erkennen, ob das Produkt hochwertig ist. Oft ist dies tatsächlich der Fall – aber eben manchmal auch nicht.
Zum gleichen Thema passt ein anderes Werkzeug aus der psychologischen Trickkiste: das Prinzip der Knappheit. Menschen neigen dazu, Dinge mehr zu begehren, wenn sie schwer zu bekommen sind. Dieses Prinzip wird oft in der Werbung genutzt, um den Eindruck zu erzeugen, dass ein Produkt begrenzt oder exklusiv ist. Sie wissen vielleicht, dass viele bekannte Schuhmarken nur eine begrenzte Anzahl von Paaren eines bestimmten Sneaker-Modells herstellen. Dies erzeugt einen Hype um das Produkt und führt dazu, dass die Verbraucher bereit sind, hohe Preise zu zahlen, um es zu besitzen. Aber auch hier ist Vorsicht geboten. Während echte Knappheit oft ein Zeichen von Qualität und Exklusivität ist, kann künstliche Knappheit dazu genutzt werden, den Verbraucher zu manipulieren. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass nicht alles, was schwer zu bekommen ist, auch wertvoll ist. Ein Nike „Air Force One“ kann im Wert steigen, aber nur weil etwas künstlich verknappt ist, muss es nicht zwangsläufig im Preis inflationieren.
Die Macht der Gemeinschaft
Bleiben wir in den USA: Der Gründer der US-amerikanische Fast-Food-Kette „Chick-fil-A“, S. Truett Cathy, war bekannt für seine konservativen Werte und dafür, dass er ein gläubiger Südstaaten-Baptist war. Er hat öffentlichkeitswirksam gegen die gleichgeschlechtliche Ehe gewettert, was zu Boykotten und Protesten führte. Aber es hat gleichzeitig auch zu einem Anstieg der Unterstützung durch Kunden geführt, die die Werte des Unternehmens teilen. Nachdem Äußerungen des CEO Dan Cathy zur gleichgeschlechtlichen Ehe 2012 öffentlich wurden, organisierten Unterstützer einen „Chick-fil-A Appreciation Day„, der zu Rekordumsätzen führte. Die Kontroversen haben zu einem Gemeinschaftsgefühl unter den Kunden von Chick-fil-A geführt. Die Menschen fühlen sich als Teil eines Stammes, eines Clans, wenn sie in diesen Restaurants essen. Sie identifizieren sich so sehr mit den Werten des Unternehmens und fühlen sich durch diese gemeinsamen Werte so sehr verbunden, dass diese Kunden immer wieder dort essen und sogar längere Anfahrtswege in Kauf nehmen, beziehungsweise die Konkurrenz aktiv verschmähen.
Das Beispiel Chick-fil-A zeigt auch, dass man diese gruppendynamischen Effekte nicht nur für progressive, hippe Marken wie Apple oder Luxusmarken wie Rolex nutzen kann, sondern eben auch für konservative Unternehmen. Ich bin überzeugt, dass jedes Unternehmen das Gefühl der Gemeinschaft und der Zugehörigkeit für die Kundenbindung nutzen kann, sofern es starke Markenwerte gibt, die ernsthaft gelebt werden. Für uns als Kunden stellt sich aber immer die Frage: Kaufen wir ein Produkt, weil es uns wirklich gefällt und wir es nützlich finden, oder kaufen wir es, weil wir uns als Teil eines Stammes fühlen wollen? Und wenn letzteres der Fall ist, stimmt dieser Stamm wirklich mit unseren Werten überein, oder ist er nur ein Marketingkonstrukt? Falls Sie die „Stammesinstinkte“ ihrer Kunden für rassistische oder homophobe Zwecke manipulieren möchten, brauchen Sie bei mir jedenfalls nicht anzurufen. Der Zweck heiligt nicht die Mittel und wer mit seiner Verantwortung als Marketer oder Designer nicht adäquat umgehen kann, sollte bitte den Job wechseln und irgendetwas machen, wo er weniger Schaden anrichtet.
Meine Lieblings-Manipulation: Absurdität
Liquid Death ist ein Unternehmen, das Wasser in Dosen verkauft. Ja, Sie haben richtig gelesen: Wasser in Dosen. Und es ist nichtmal irgendein spezielles Wasser. Aber das Marketing und die Präsentation von Liquid Death sind alles andere als gewöhnlich. Mit seinem Slogan „Murder Your Thirst“ und einem Design, das aussieht wie das Cover-Artwork eines Heavy-Metal Albums hat Liquid Death es geschafft, ein maximal simples Produkt wie Wasser in etwas Aufregendes und Begehrenswertes zu verwandeln. Natürlich für eine spezielle Zielgruppe.
Die Verpackung erinnert eher an Bier als an Wasser, aber es ist einfach nur Wasser. Und da liegt der Witz. Denn diese Wassermarke hat sich in den gesamten USA etabliert und die Firma wurde im Jahr 2022 mit 700 Millionen Dollar bewertet. Nicht 700.000 sondern 700 Millionen. Warum funktioniert das?
Zuerst einmal sieht die Dose eben aus wie eine Bierdose und damit wird das Ganze zu einem interessanten Gesprächsstoff und hebt es von anderen Wassermarken ab. Zum anderen ist es auch ein Hit bei Veranstaltungen und Bars, wo das Wasser die optimale, trendige Alternative für diejenigen bietet, die keinen Alkohol trinken wollen und sich aber mit einem „normalen“ Glas Wasser uncool fühlen würden. Der Gründer erzählt in einem Video, dass er auf Konzerten war, wo die Bands vom Monster Energy Drink gesponsored wurden. Allerdings hatten die Künstler in ihre „Monster“ Dosen Wasser gefüllt, weil sie eben auf der Bühne kleine klebrige Zuckerbrühe trinken wollten. Schauen Sie sich gerne mal an, was der Gründer zu sagen hat.
Überhaupt ist das gesamte Marketing von Liquid Death eine Übung in Absurdität, weil es so übertrieben ist, dass man nicht anders kann, als darüber zu lachen. Der Marketing-Vizepräsident trägt sogar den Titel „Vizepräsident für kultische Indoktrination“. Es ist, als würden sie sagen: „Ja, wir manipulieren Dich. Aber wir sind ehrlich damit.“ Und das scheint zu funktionieren in Zeiten, wo öffentlich über die manipulativen Methoden von Marken gestritten wird.
Aber ist diese brutale Ehrlichkeit bei Liquid Death echt, oder nur eine weitere Ebene der Manipulation? Das ist schwer zu sagen. Eindeutig ist, dass die Marke ein perfektes Beispiel dafür darstellt, wie ein wirklich simples Produkt durch cleveres Marketing und gekonnte Präsentation in etwas Begehrenswertes verwandelt werden kann. Es ist ein Beweis dafür, dass es nicht unbedingt das Produkt selbst ist, das zählt, sondern die Art und Weise, wie es präsentiert wird.
Viele meiner Kunden und Kollegen schmunzeln, wenn ich etwas überspitzt sage „Form ist wichtiger als Inhalt“, aber genau das ist der Fall. Hören Sie bitte damit auf, sich der naiven Vorstellung hinzugeben, Menschen würden einfach nur für den Nutzen bezahlen, den ihnen ein Produkt bietet.
Die Grenzen der Markenmanipulation: Wann ist es ein Schritt zu weit?
Wir sind weit gekommen im Marketing: Unternehmen geben nicht nur offen zu, dass sie versuchen, einen Kult um ihre Marke aufzubauen, sondern es gibt sogar welche, die noch einen Schritt weiter gehen. Dbrand ist eine Marke für Handyhüllen und Laptop-Cases. Sie verkauft ein sogenanntes „Manifest“ auf ihrer Website (für 100 Dollar!), in dem offen zugegeben wird, dass es sich um reine Propaganda handelt. Man macht sich sogar über die Kunden lustig, die es gekauft haben und als ob das noch nicht genug wäre, gibt es eine Website, auf der man ihnen Geld schicken kann, ohne dafür etwas zu bekommen.
Noch ein Beispiel gefällig? Cards Against Humanity verkauft über 30.000 Boxen mit echtem Kuhmist und hat damit über 180.000 US-Dollar eingenommen. Die Aktion war als Kommentar zu den übermäßigen Ausgaben in unserer Konsumgesellschaft gedacht, aber die Ironie ist offensichtlich: Die Kunden haben tatsächlich Geld für Kuhmist ausgegeben.
Warum funktioniert dieser Wahnsinn? Die Antwort liegt in der Bedeutung, die wir den Dingen geben. Ein Euro-Schein ist halt mehr als nur ein Stück Papier. Er hat einen Wert, weil wir ihm einen Wert geben. Und wenn Sie es schaffen, Elon Musk oder Hansi Hinterseer dazu zu bringen, ihre Namen auf einen von Ihnen kreierten Papierfetzen zu kritzeln, dann steigt der Wert dieses Fetzens erheblich.
Marken nutzen dieses Prinzip ständig, um Bedeutung zu schaffen und damit Wert aus dem Nichts zu erzeugen. Sie verkaufen nicht nur das Produkt, sondern auch die Geschichte, die Idee, bestenfalls sogar eine Identität. Verkauft Apple elektronische Geräte? Oder verkauft es Werkzeuge zur kreativen Selbstverwirklichung?
Es ist wichtig zu verstehen und festzuhalten, dass diese Geschichten und Bedeutungen nicht immer der Realität entsprechen. Manchmal sind sie übertrieben oder sogar völlig erfunden. Pepsi behauptet zum Beispiel, dass ihr Logo auf den Magnetfeldern und der Anziehungskraft der Erde basiert. Das mag eine interessante Geschichte sein, aber es ist auch ziemlich absurd. Ich persönlich finde die ganze Sache genau deshalb übrigens ziemlich lustig .
Es ist aber auch wichtig zu bedenken, dass alle Geschichten und Bedeutungen manipulativ sein können. Sie können uns dazu bringen, Produkte zu kaufen, die wir nicht brauchen, oder uns dazu zu bringen, uns mit Marken zu identifizieren, die nicht wirklich unsere Werte widerspiegeln. Sie finden Marketing generell fragwürdig und identifizieren sich mit Datenschutz und DSGVO? Kein Thema, wir besorgen uns glaubwürdige Testimonials, löschen alle Newsletter-Anmeldeformulare auf der Website und machen eine Marketing-Strategie rund um, sagen wir, böse Großkonzerne, die alle unsere Daten klauen wollen. Wenn wir uns als David gegen Goliath positionieren und glaubhaft dabei auftreten, dass wir es mit dem Datenschutz ernst meinen, kaufen Sie vielleicht.
Können Sie sicher sein, dass der Markenkern authentisch ist und hinterfragen Sie, was Sie im Marketing erleben? Bei Pepsi und Nesquick mag dies leicht sein, aber was ist mit dem kleinen, sympathischen Startup oder dem regionalen Anbieter, hinter dem vielleicht doch ein großer, internationaler Investor steckt?
Sie ahnen vielleicht, worauf ich hinaus will. Ich finde es überhaupt nicht falsch, Dingen eine Bedeutung zu geben, die über die eigentlichen Produkteigenschaften hinaus gehen oder Marken zu erschaffen, die einen Hype erzeugen. Im Gegenteil! Aber es ist wichtig, sich bewusst zu machen, wie diese Bedeutungen geschaffen werden und wie sie unsere Kaufentscheidungen beeinflussen können. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Marken letztendlich dazu dienen, Produkte zu verkaufen, und dass sie damit nicht einmal zwangsläufig im besten Interesse von uns als Konsumenten handeln.
Conclusio
Designer und Markenmacher nutzen Erkenntnisse der Psychologie, um uns zum Kauf ihrer Produkte zu bewegen. Manchmal setzen sie dabei auch auf gefälschte Beweise und zwielichtige Taktiken, um uns unter Vorspiegelung falscher Tatsachen zu manipulieren. Und manchmal beruht sogar bereits das Geschäftsmodell des Unternehmens auf Betrug – und Stakeholder wie auch Kunden werden von cleverem Marketing und tollem Branding vernebelt.
Es wäre einfach zu behaupten, dass die Verantwortlichen in diesen Unternehmen ausnahmslos skrupellose Psychopathen sind. Die meisten Menschen, mit denen ich in Unternehmen zusammengearbeitet habe, waren seriöse und ernstzunehmende Leute – meistens sogar mit einem soliden Wertegerüst und vermutlich sogar klaren Moralvorstellungen. Menschen, die einfach in ihrem Job das Richtige tun wollen. Aber oft stehen sie dann vor einem Dilemma: Was ist das Beste für den Kunden, was ist das Beste für die Community rund um das Produkt, was wäre das Beste für die Umwelt – und was bringt dem Unternehmen den größten Gewinn? Unternehmen sind Maschinen, die darauf programmiert sind, ihren Gewinn zu maximieren. Selbst in Unternehmen, die sich einer Mission verpflichtet fühlen, ist das Streben nach Wachstum und Profit meistens das dominierende Ziel.
Und Unternehmen, die wachsen, können in der Regel auch mehr in Forschung und Entwicklung investieren, ihre Produkte und Dienstleistungen verbessern und ihre Kosten durch Skaleneffekte senken. Und damit überleben sie auch wirtschaftliche Flauten und Rezessionen. Das ist das kleine Einmaleins der Betriebswirtschaftslehre und das kann ja alles nicht so ganz falsch sein, wenn der zivilisatorische Fortschritt damit so weit gekommen ist.
Schwierig finde ich es, wenn die Gewinnmaximierung auf Kosten der eigenen Mitarbeiter, auf Kosten der Umwelt oder gar auf Kosten der Kunden stattfindet und die Möglichkeiten von Corporate Identity, Marketing und Branding für diese Zwecke missbraucht werden. Als Unternehmer, als Marketer und als Designer stehen wir vor der Herausforderung, authentisch zu handeln. Wir können tolle Geschichten erzählen: Als Profis im Bereich Branding können wir kohärente Welten erfinden, die Marken emotional aufladen und das ist auch alles kein Problem, solange wir uns dessen bewusst sind. Es ist wie bei einer Zaubershow: Wir können die Show genießen, solange wir wissen, dass es nur eine Show ist. Wir können den Zauberkünstler bewundern und sind bereit, Eintritt zu bezahlen – aber wir würden sicherlich nicht auf die Idee kommen, das alles für echte Magie zu halten. Es ist eine Herausforderung, in einer Welt voller kommerzieller Manipulation authentisch zu bleiben, aber es ist meine Überzeugung, dass sich mit Authentizität hervorragende Marken führen lassen, die sehr eigenständig im Markt agieren und damit langfristig erfolgreich sind.
Das wäre jetzt die perfekte Überleitung zu einem „Call to Action“, wo ich Ihnen meine Dienstleistungen als Designer und Markenberater ans Herz lege, der Wert legt auf Authentizität und der in seinen Workshops immer darauf geachtet hat, Marken „von innen heraus“ zu entwickeln und damit die ureigenen Werte des Unternehmens zu Kernaspekten des Brandings zu machen. Aber wenn ich Ihnen jetzt ein kostenloses Beratungsgespräch anbiete, das wäre doch schon fast manipulativ und obendrein etwas plump. Stattdessen freue ich mich auf Ihre Kommentare!